Das mobile Ding des Monats JÄNNER
Eine Lederhose aus dem Hause Mautner
Aus der Zeit zwischen 1900 und 1938 und vereinzelt wie-der nach dem Zweiten Weltkrieg sind Fotografien über-liefert, die niederösterreichische und Wiener Jüdinnen und Juden oder deren Nachkommen in Tracht oder Trachtenmode zeigen. Neben Fotografien prominenter Persönlichkeiten wie Sigmund Freud und seiner Tochter Anna, Theodor Herzl mit seinen Kindern, Hugo von Hoff-mannsthal und seiner Mutter Anna oder Arthur Schnitz-ler, sind es vor allem Atelieraufnahmen und Schnapp-schüsse aus der jüdischen Mittelschicht sowie Leder-hosen, Dirndln, Hüte und Accessoires aus deren Hinter-lassenschaft, die von den Erben Museen und Sammlun-gen rund um den Globus zur Verfügung gestellt oder geschenkt wurden.
Ihr Anblick wirft ein Schlaglicht auf die Frage nach der Akkulturation, Identität und Zugehörigkeit wie auch auf die Ablehnung, wie es Schicksale aus dem jüdischen Milieu Wiens und Niederösterreichs demonstrieren. Trotz Trachtenverboten, Ausgrenzung und Flucht lässt sich die Verwendung von Dirndl und Lederhose durch vertriebene oder nach dem Weltkrieg wieder heimgekehrte niederös-terreichische und Wiener Jüdinnen und Juden feststellen.
Ein Beispiel für eine der erhaltenen dinglichen Quellen stellt die abgebildete Lederhose dar. „Sie ist schon ein ziemliches Ungetüm“, sagt Elizabeth Baum-Breuer über die Lederhose ihres Vaters, Franz Stephan Breuer. Sie war einst ein Geschenk seines Onkels, Stephan Mautner (1877-1944). Dieser war, wie auch der bekannte Trach-tenforscher Konrad Mautner, ein Sohn des Großindus-triellen Isidor Mautner. Er trug wie überhaupt alle Maut-ner-Geschwister, erzählt Elizabeth Baum-Breuer, sehr gerne Tracht. Dieser Leidenschaft zum ländlichen Leben und der Liebe zur Trachtenkleidung setzte Stephan Mautner gleich mehrere Denkmäler. In seinen mit eigen-händigen Aquarellen und Zeichnungen versehenen Büchern „Das Haus auf der Dürr“ bzw. „Trattenbach“ von 1918 steht seine Wahlheimat in Niederösterreich im Mittelpunkt.
In „Farbige Stunden“ von 1921 setzte er ein Gemälde seines Lieblingsgewandes gleich einer Widmung auf das Vorsatzblatt, zusammen mit einem von ihm verfassten Vers:
„Altes verschlissenes schäbiges G’wand,
Liegst wie ein Häuferl Lumpen beinand.
Städtisches Hasten, läppischer Tand
Fällt von mir ab in Dir, Zaubergewand.“
Stephan Mautner hätte sein Industriellenleben wohl nur zu gern gegen ein ländlich inspiriertes Leben auf seinem Hof getauscht. Doch der Einmarsch der Nationalsozialis-ten und der „Anschluss“ Österreichs im März 1938 been-deten den Traum vom Leben auf dem Nothnagelhof in Trattenbach jäh. Im November 1938 floh er mit seiner Frau Else nach Ungarn. Ihre Spur verliert sich 1944 im Budapester Ghetto. Es wird angenommen, dass Stephan und Else Mautner im Juli 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden.
Die Lederhose jedoch, sein Geschenk an den Neffen Franz Breuer, nahm dieser mit in die Emigration nach England und trug sie bis ins hohe Alter zu allen wichtigen Anlässen. Auch zu Urlauben und Familienbesuchen in Österreich nach 1945 durfte sie nicht fehlen. „Wenn wir über die Grenze fuhren, bei Passau mit dem Zug, musste jeder dann in den Waschraum gehen und musste sich umziehen. Weil es war unmöglich in Österreich anzukom-men und nicht in der Tracht zu sein,“ erzählt Elizabeth Baum-Breuer. Zuletzt zeugte die Lederhose 2019 als Museumsleihgabe in der Ausstellung „Mit ohne Juden“ des Museums für Zeitgeschichte im Hacker-Haus in Bad Erlach in all ihrer Materialität vom ideellen Wert für seinen Träger und dessen Nachkommen. Sie hat nicht nur weite Wege zurückgelegt, sondern vor allem auch einen Bedeutungswandel erfahren: weitergegeben als Geschenk, getragen als Lieblingsstück hin zur Museums-leihgabe als Erinnerungsträger für die Geschichte einer ganzen Familie. Ein wahrlich mobiles Ding.
Die Aussagen Elizabeth Baum-Breuers entstammen der Ausstellung „Mit ohne Juden“ von 2019 des Museums für Zeitgeschichte im Hacker Haus in Bad Erlach, wo sie als „sprechendes Buch“ zu hören war.
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